IHK–Umweltforum nimmt Mobilitätsherausforderungen unter die Lupe
Nötig sind deutliche technologische Veränderungen und Verhaltensveränderungen, um zukünftig nachhaltig mobil zu sein – auf diesen gemeinsamen Nenner lässt sich das Ergebnis des diesjährigen Umweltforums der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK) bringen. „Passen Umweltschutz und Mobilität zusammen?“, lautete die Frage, auf die Prof. Dr. Katharina Kohse-Höinghaus, Prof. Dr.-Ing. Jens Haubrock und Unternehmerin Daniela Gaus vor rund 180 Zuhörern im Ostwestfalen-Saal der IHK in Bielefeld zahlreiche Antworten gaben.
Welchen Stellenwert Verbrennungsprozesse für den industriellen Fortschritt haben, erläuterte die an der Uni Bielefeld lehrende und forschende Chemikerin Kohse-Höinghaus. Der globale Primärenergiebedarf steige, insbesondere in Asien. Über 80 Prozent stamme dabei aus fossilen Quellen, der Anteil der erneuerbaren Energie nehme langsam zu. Neben offensichtlichen Verbrennungsprozessen wie beispielsweise in Motoren und Flugzeugtriebwerken, bei der Herstellung von Stahl oder Glas, stecke Verbrennung auch hinter vielen neuen Technologien.
„Haben Sie heute schon mobil telefoniert?“, fragte die Professorin schmunzelnd in die Runde, „oder schon das Navi benutzt?“. Die Satelliten für GPS, Kommunikation, Wetterdaten seien mittels Raketen, also durch die Verbrennung von Treibstoff, in die Erdumlaufbahn gelangt. Auch für die Produktion sogenannten „smarten Glases“ beispielsweise für Optik, Photovoltaik, Mobiltelefone oder Fassaden würden große Mengen an Energie benötigt.
Zukünftige Verbrennungsprozesse seien durch eine hohe Effizienz und minimale Emissionen gekennzeichnet. Möglich werde dies durch eine gemeinsame Optimierung von Brennstoffen und Motoren, beispielsweise bei der sogenannten Niedrigtemperaturverbrennung. Auch alternative Brennstoffe können zur CO2-Reduzierung beitragen, allerdings warnte sie vor toxischen Emissionen von Designer-Biosprit: „Nicht jeder Biokraftstoff ist gut.“
Für die Energiewende sei es wichtig zu analysieren, wofür auch zukünftig Energie eingesetzt werde: für die Stromerzeugung, für Transport, für Niedrig- und Hochtemperaturwärme. So habe sich der Stromverbrauch pro Kopf von 1965 bis 2005 verdreifacht. Der Anteil der Windenergie in Deutschland betrage aktuell 20,4 Prozent. Für die Energiewende aus dem fossilen Zeitalter müsse unter anderem der Anteil der erneuerbaren Energie gesteigert werden. Kohse-Höinghaus warnte, dabei nur den Pkw in den Blick zu nehmen, auch Fragen der nachhaltigen Stadtentwicklung würden zur CO2-Reduktion beitragen.
Prof. Haubrock beleuchtete in seinem Vortrag die „Elektromobilität in der Wirtschaft – Einsatzmöglichkeiten und Beispiele aus der Region“. Weltweit waren 2018 5,61 Millionen Elektrofahrzeuge unterwegs, in Deutschland 83.200 – dies entspricht einem Marktanteil von 2,4 Prozent. Als großen Vorteil der Elektromobilität nannte der Professor an der FH Bielefeld den Wirkungsgrad von 75 Prozent der eingesetzten Energie – beim Verbrenner betrage diese lediglich 15 Prozent. Das Kernproblem beim Elektroantrieb sei die Speicherung der Energie: „Es gibt keinen elektrischen Energiespeicher. Der Akku ist ein chemischer Energiespeicher, für den ich Masse benötige.“
Außerdem sei die Herstellung CO2-intensiv. Haubrock plädierte für den Einsatz von Brennstoffzellen als Antriebsquelle von Elektroautos. Die dafür benötigte Batterie könne kleiner ausfallen und werde während der Fahrt geladen. Problematisch seien die hohen Anschaffungskosten und die fehlende Tankinfrastruktur. Hinzu komme, dass lediglich „grüner Wasserstoff“, also Wasserstoff, der mittels erneuerbarer Energien erzeugt werde, nachhaltig sei.
Als Beispiel für eine gelungene Elektrifizierung eines Firmenfuhrparks nannte Haubrock eine Bielefelder Bäckereikette, die acht elektrische Lieferwagen betreibe. Durch ein an der FH entwickeltes Energiemanagementsystem ließen sich optimale Ladezyklen prognostizieren und so die Ladevorgänge optimal steuern, „wir können so Sonne in die Batterien packen“. E-Mobilität biete für Unternehmen einen Umwelt- und Imagegewinn, diene der Mitarbeiterbindung, sei wirtschaftlich und enthalte einen Wettbewerbsvorteil. „Weltweit gibt es die Tendenz, zukünftig Innenstädte für Verbrenner zu sperren“, so Haubrock.
Vor welche praktischen Herausforderungen Elektromobilität Autohändler stellt, erläuterte Autohauschefin Daniela Gaus. Die Familienunternehmerin leitet einen VW-Vertragspartner in Bielefeld und beschäftigt 120 Mitarbeiter. Die Hersteller würden von den Händlern Investitionen in Ladeinfrastruktur erwarten. Zwei Ladesäulen müsse sie aufstellen, durch den Anschluss an das Hausnetz würden die betrieblichen Stromkosten steigen.
Durch Elektrofahrzeuge verändere sich zudem das Servicegeschäft, der klassische Ölwechsel entfalle, der Bremsenverschleiß ginge dank Rekuperation zurück. Auch dürften E-Autos nach Unfällen nicht sofort repariert werden, da noch verzögert Brandgefahr durch beschädigte Batteriezellen bestehe und E-Autos in „Quarantäne“ müssten. Hingegen werde die Mitarbeiterqualifizierung anspruchsvoller. Benötigt würden Hochvolt-Techniker und IT-Spezialisten. Auf Kundenseite stoße das Thema E-Auto durchaus auf Interesse. Dem höheren Anschaffungspreis stünden Steuerbefreiungen und geringere Verbrauchskosten entgegen, rechnet die Diplom-Betriebswirtin vor.
Für gewerbliche Kunden seien E-Autos dann interessant, wenn viel Kurzstrecke gefahren werde. Dabei sei es in der gesamten Branche Trend, E-Autos zu leasen. Die Kunden müssten eine gewisse Veränderungsbereitschaft beim „Tanken“ mitbringen: „Sie sollten bei jeder Gelegenheit die Akkus aufladen und den Akku niemals leerfahren“, gibt sie Tipps aus ihrer eigenen E-Auto-Praxis. „E-Auto zu fahren macht viel Spaß“, lautet das Fazit der Geschäftsführerin.
In seiner Begrüßung hatte IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven betont, dass der Umgang mit den Folgen des Klimawandels eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft sei und das Spannungsfeld betont, in dem sich die Wirtschaft befinde. „Klimaschutz ist zweifelsohne sehr wichtig, kann aber nicht im Alleingang in Deutschland losgelöst von globalen Wettbewerbs- und Standortfaktoren gestemmt werden. Das bedeutet nicht, dass wir in Deutschland nicht mit gutem Beispiel vorangehen sollten.“ Individuelles umweltbewusstes Verhalten sei in jedem Fall zu begrüßen. Doch um auf breiter Front Einsparerfolge zu erzielen, ist technologisch bedingte Effizienz wichtig. „Deshalb müssen wir als Unternehmer einen Weg finden, um international wettbewerbsfähig, profitabel und gleichzeitig nachhaltig zu wirtschaften.“