Die Stimmung innerhalb der ostwestfälischen Wirtschaft bleibt zu Jahresbeginn unverändert im Tief. Insbesondere innerhalb der Industrie ist keine Erholung zu spüren. Zu diesen Ergebnissen kommt die Frühjahrskonjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK), an der sich 1.854 Unternehmen mit gut 125.000 Beschäftigten aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistungen beteiligten. Darunter waren 326 Industriebetriebe mit rund 60.000 Beschäftigten.
„Die deutsche Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Beim Wirtschaftswachstum lag Deutschland im abgelaufenen Jahr laut vorläufigen Angaben sehr deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Leider machen sowohl die Bewertungen der aktuellen Geschäftslage als auch die Erwartungen innerhalb der ostwestfälischen Industrie wenig Hoffnung auf eine schnelle Besserung in den kommenden Monaten“, sagte IHK-Präsident Jörn Wahl-Schwentker am 27. Februar bei der Vorstellung der Ergebnisse in der IHK in Bielefeld.
Als größte Herausforderungen für die künftige Entwicklung nannten die Unternehmen neben der Inlandsnachfrage die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und da insbesondere „Bürokratie“, „Energie“ sowie „Unsicherheit und mangelnde Verlässlichkeit“. Innerhalb der Bundesregierung gebe es ungelöste Konflikte und Streitigkeiten, die Bürger und Unternehmen verunsicherten. So zeichne sich ab, dass die Energiepreise in Deutschland dauerhaft höher blieben als in anderen Ländern.
Als Beispiel für wenig verlässliche Rahmenbedingungen nannte Wahl-Schwentker den Wegfall des geplanten Bundeszuschusses zu den Stromnetzentgelten. Dieser werde auch durch die beschlossene Senkung der Stromsteuer für das Produzierende Gewerbe nicht kompensiert. „Im Gegenteil: Unter dem Strich steht eine Erhöhung der Strompreise.“ Zum Punkt „Bürokratie“ merkte der IHK-Präsident an, dass Deutschland durch eine Überkomplexität und Fülle von bürokratischen Vorschriften belastet sei, unter anderem durch immer mehr Regulierung aufgrund wachsender Berichtspflichten.
„Es braucht einen Befreiungsschlag. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV kann ein erster Anstoß sein, endlich ressortübergreifend eine spürbare Entlastung zu erreichen. Dazu gehören unter anderem der digitale Steuerbescheid und die durchgängige Digitalisierung sämtlicher wirtschaftsbezogener Verwaltungsleistungen. Der vorliegende Entwurf des Gesetzes ist aber deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben und muss noch umfassend ergänzt werden.“
Diese gesamtwirtschaftliche Unsicherheit spiegele sich auch in den Umfragedaten wider. So ist der IHK-Klimakonjunkturindex für die gesamte ostwestfälische Wirtschaft von Herbst 2023 zum Frühjahr 2024 zwar leicht gestiegen, von 86 auf 92 Punkte. Damit bleibt der Wert aber unter der100er-Marke, die für eine ausgeglichene Stimmung steht, bei der sich Optimisten und Pessimisten die Waage halten. Der Indexwert für die Industrie hat ebenfalls leicht von 76 auf 79 Punkte zugelegt, bleibt aber auf einem sehr niedrigen Niveau.
„Die geringen Erwartungen aus dem Herbst haben sich leider realisiert. Die aktuelle Geschäftslage wird nochmal schlechter bewertet als im Herbst“, ordnet Wahl-Schwentker die Zahlen ein. Aktuell bezeichneten nur noch 13 Prozent der befragten Unternehmen ihre Geschäftslage als „gut“ (Herbst: 18 Prozent). Die „schlecht“-Bewertungen blieben mit 40 Prozent auf einem nahezu unverändert hohen Niveau. Eine abflauende Konjunktur gepaart mit gestiegenen Kosten drückt auf die Marge vieler Unternehmen. So bezeichnen 36 Prozent der Unternehmen ihre Ertragslage als „schlecht“, aber immerhin 27 Prozent als „gut“.
Bei der erwarteten Geschäftslage für die kommenden zwölf Monate hat sich die Zahl der Optimisten mehr als verdoppelt – von zehn auf 21 Prozent. Eine Verschlechterung der Lage erwartet aber noch etwas mehr als jeder dritte Betrieb, so dass sich bei den Geschäftserwartungen ein negativer Saldo ergibt. Bei den Umsätzen rechnen 27 Prozent mit steigenden Gesamtumsätzen, 34 Prozent aber auch mit fallenden Umsätzen. Bei der Ertragslage gehen 40 Prozent der Unternehmen von einer Verschlechterung aus. „Dass deutlich mehr Betriebe als im Herbst wieder steigende Erträge erwarten, 25 Prozent gegenüber zuvor acht Prozent, ist zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer“, so Wahl-Schwentker.
Die Gesamtumsätze des Verarbeitenden Gewerbes aller Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten betrugen 2023 in Ostwestfalen 51,7 Milliarden Euro, ein Rückgang von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „An den ‚harten‘ Zahlen erkennt man also, dass der konjunkturelle Abschwung auch in Ostwestfalens Industrie angekommen ist“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke. Insbesondere in der zweiten Jahreshälfte seien die Industrieumsätze sukzessive ins Minus gerutscht.
Die Inlandsumsätze gingen im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent auf 30,7 Milliarden Euro zurück. Hingegen stiegen die Auslandsumsätze um 1,7 Prozent auf 21,1 Milliarden Euro, die Exportquote der ostwestfälischen Industrie lag damit bei 40,7 Prozent. Im Jahresdurchschnitt waren in der ostwestfälischen Industrie 172.794 Mitarbeitende beschäftigt, ein Plus von 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei der Beschäftigungsentwicklung steht Ostwestfalens Industrie damit etwas schlechter da als das Land NRW (0,9 Prozent) und der Bund (1,1 Prozent).
„Die Beschäftigtenzahl in Ostwestfalens Verarbeitendem Gewerbe liegt auf einem Rekordniveau. Angesichts der beschriebenen Konjunkturerwartungen muss ich aber einschränken, dass die derzeitige Konjunkturflaute auf dem Arbeitsmarkt noch nicht vollständig angekommen ist“, sagt Pigerl-Radtke. So sei trotz der Rekordbeschäftigung die Zahl der Arbeitslosen in der Region gestiegen. Im Dezember 2023 waren in Ostwestfalen 56.815 Personen arbeitslos gemeldet. Vor zwei Jahren waren dies immerhin mehr als 9.000 Menschen weniger.