Auch ein Jahr nach dem Brexit ist die Bilanz ernüchternd: Das Geschäft mit dem Vereinigten Königreich ist für Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen auch 2022 teurer, bürokratischer und aufwendiger als vor dem Austritt Großbritanniens aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion gewesen. Allerdings haben sich die meisten Firmen damit arrangiert und sind in weiten Teilen ihrer Kundschaft auf der Insel treu geblieben. So lautet das Fazit einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK) unter 400 Unternehmen in NRW.
„Die Betriebe haben ihre Lieferketten ergänzt, Personal aufgestockt, die Logistik und Preise angepasst“, erläutert Harald Grefe, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer und dort für das internationale Geschäft verantwortlich. „Die im England-Geschäft aktiven Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen haben in den vergangenen 13 Monaten sehr gute Arbeit geleistet“, lobt der Großbritannien-Fachmann. Die meistgenannten Herausforderungen, mit denen die Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen im ersten Brexit-Jahr zu kämpfen hatten, betrafen von der britischen Seite verursachte Lieferverzögerungen oder -ausfälle, die mangelnde Unterstützung der Kunden und Geschäftspartner bei deren Import-Verzollung, Probleme mit der neuen Technologie bei der Abfertigung sowie Personalmangel.
Die Verschärfung der Einwanderungspolitik und die noch nicht vollendete Modernisierung des Einwanderungssystems kämen hierbei erschwerend hinzu. Die erhöhte Bürokratie sowie komplexe Visaregularien führten dazu, dass zur Personalgewinnung Subunternehmer vor Ort beauftragt und somit die ohnehin schon gestiegenen Kosten weiter in die Höhe getrieben würden. Die verstärkten Zollkontrollen, die seit dem 1. Januar 2022 in Kraft getreten sind, hätten bisher zu keinen zusätzlichen Problemen geführt. „Angemerkt wurde hierbei nur, dass die Probleme der Anbindung des britischen Zolls an das europaweite elektronische System für das Versandverfahren nur schleppend vorangeht“, so Grefe.
Das hatte auch Auswirkungen auf die Exporte in das Vereinigte Königreich. Nachdem die Ausfuhren bundesweit von 2016, dem Jahr des Brexit-Referendums, bis 2020 um rund ein Drittel gesunken waren, betrug der Rückgang von 2020 auf 2021 allerdings nur noch 2,5 Prozent. „Das zeigt, dass die NRW-Wirtschaft im Großbritannien-Geschäft die weiteren Herausforderungen annimmt“, blickt Grefe voraus. Jedoch würden diese nicht geringer. So endet 2022 die Übergangsfrist zur neuen britischen Produktkennzeichnung (UKCA) und ab April trete die „UK Plastic Packaging Tax“ in Kraft, eine Steuer für Plastikverpackungen. Beides bringe weitere Verteuerungen und noch mehr Bürokratie mit sich. „Eine Rückkehr zur Normalität ist also nicht in Sicht, allerdings sind die Betriebe sehr anpassungsfähig: Mehr als 60 Prozent der befragten NRW-Unternehmen gaben an, im Laufe des Jahres ihre Geschäfte an die aktuelle Situation angepasst zu haben“, hebt Grefe hervor. In deutschen Unternehmen arbeiten in Großbritannien übrigens in etwa 2.500 Niederlassungen rund 400.000 Beschäftigte.
Die IHK Ostwestfalen führte die Umfrage im Rahmen ihres Länder-Schwerpunktes "Großbritannien und Irland" durch, den sie gemeinsam mit der IHK Nord Westfalen in Münster für alle 16 IHKs in Nordrhein-Westfalen 2021 übernommen hatte. Damit stehen beide IHKs allen NRW-Unternehmen mit aktuellen Informationen zur Verfügung und bieten NRW-weit Veranstaltungen an. Aktuelle Informationen dazu gibt es auf einer Sonderseite der IHK im Internet.