Die Verzögerungen bei den seit April 2023 laufenden Umbauarbeiten der Hauptstraße in Brackwede werden für viele dort ansässige Unternehmen zunehmend zu einer großen Belastung. Das zeigt eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK), an der sich fast 50 Betriebe, vor allem aus den Bereichen Handel und Dienstleistung, beteiligt haben. Fast jedes zweite Unternehmen (47 Prozent) hat geantwortet, dass es im Bestand gefährdet sei. „Nach der planmäßigen Fertigstellung des zentralen Geschäftsbereichs der Hauptstraße Ende November verschiebt sich größtenteils witterungsbedingt der Abschluss der gesamten Umgestaltung auf Mai 2025“, teilt die Stadt mit.
Trotzdem liegen bei dem erstmals in Bielefeld durchgeführten Entschädigungsmanagement, mit dem die Stadt und die Stadtwerke-Tochter moBiel betraut sind, erst sieben Anträge auf Entschädigungen vor. Die Rahmenbedingungen dafür sind von der Bezirksregierung Detmold im Zuge der Planfeststellung vorgegeben worden. Diese sind im Anschluss mit Wirtschaftsprüfern der Firma HLB Stückmann ausgearbeitet und in die Praxis umgesetzt worden. Demnach können laut Stadt und moBiel insbesondere Einzelhandel und gastronomische Betriebe nur entschädigt werden, wenn sie durch die Baustelle in nicht mehr zumutbaren Maße beeinträchtigt sind. Das bedeute, dass alle vor Ort ergriffenen Schutzmaßnahmen zur Erreichbarkeit nicht ausreichten und die Existenz des Geschäfts gefährdet sei. Eine pauschale Entschädigung aufgrund von fehlender Laufkundschaft sei laut diesen Regularien nicht möglich. IHK, Stadt und moBiel haben sich nun mit im Bereich der Hauptstraße Brackwede tätigen Gewerbetreibenden in einer gemeinsamen Veranstaltung über die Situation ausgetauscht.
„Bei den Entschädigungsregelungen darf die reine Zugänglichkeit der Ladenlokale nicht das alleinige Kriterium sein“, erklärt Götz Dörmann, der für Handel und Dienstleister zuständige IHK-Geschäftsführer. „Es geht für die Betriebe um die gesamte Erreichbarkeit, nicht nur fußläufig, und damit um die fehlende Kundenfrequenz infolge der Bauarbeiten“, betont Dörmann. Stadt und Bezirksregierung müssten im Sinne der Gewerbetreibenden pragmatischere und praxisnähere Lösungen finden.
Die Auswirkungen der Baumaßnahmen auf Umsatz und Ertrag sind der IHK-Umfrage zufolge für nahezu jedes vierte Unternehmen kritisch (24 Prozent), 22 Prozent bezeichnen sie gar als existenzgefährdend. Jedes dritte Unternehmen spricht von „spürbaren“ Auswirkungen auf Umsatz und Ertrag, bei 15 Prozent gibt es demnach „wenig Einfluss“ und bei sieben Prozent „keinen Einfluss“ auf die Geschäftszahlen. Etwa jeder dritte Betrieb beziffert den Umsatzrückgang auf 50 Prozent und mehr, beim Ertragsrückgang ist der Anteil noch etwas höher.
„Die Unternehmen an der Hauptstraße leiden mit der zwischenzeitlich angekündigten Verzögerung der Bauarbeiten letztlich mindestens zwei Jahre unter den Auswirkungen. Die Verlängerung um weitere sechs Monate fällt jetzt auch in das wichtige Weihnachtsgeschäft und trifft viele Betriebe nach der schon langen Durststrecke hart“, beklagt Dörmann. 32 Prozent der Unternehmen fangen die Ausfälle eigenen Angaben zufolge aus Rücklagen auf, in 39 Prozent der Fälle greifen die Inhaber auf private Finanzmittel zurück. Ein Fünftel antwortet, dass die Erträge auskömmlich sind, jeder zehnte Betrieb nutzt derweil Bankkredite, um die Ausfälle zu finanzieren.
Vertrauen können die an der Hauptstraße ansässigen Unternehmen laut der Befragung in erster Linie auf treue Kunden. So sagen die Betriebe, dass sehr treue Stammkunden derzeit rund zwei Drittel ihrer Kundschaft ausmachen, ein Viertel gehe auf regelmäßige Kunden zurück. Angesichts der Bauarbeiten sehr gering sei der Anteil der Laufkundschaft mit fünf Prozent beziehungsweise der Neukunden mit drei Prozent. Mehr als die Hälfte der Kunden (54 Prozent) stamme direkt aus Brackwede, knapp ein Viertel (24 Prozent) aus anderen Stadtteilen Bielefelds.
Auswirkungen haben die Folgen der Bauarbeiten der Umfrage zufolge auch auf die Beschäftigung: 36 Prozent der Betriebe antworten, dass sie in diesem Zusammenhang bereits Mitarbeitende entlassen haben, neun Prozent planen dies, 55 Prozent verneinen indes einen Beschäftigungsabbau.
Kritisch äußert sich eine große Mehrheit der an der Befragung teilnehmenden Unternehmen zur Informationspolitik der Stadt im Zusammenhang mit den Bauarbeiten. Drei Viertel sagen, sie fühlten sich von der Stadt nicht ausreichend informiert. Immerhin 69 Prozent erklären, zwar vom etwaigen Anspruch auf Entschädigung zu wissen. 76 Prozent monieren aber, dass die Regelungen nicht klar verständlich seien.
Nach Angaben von Stadt und moBiel werden bei Fertigstellung der Hauptstraße insgesamt 65 Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt sein. „So viele wie bislang bei keiner anderen Baustelle in dieser Stadt. Von Presse-Informationen und Pressekonferenzen über Marketing-Aktionen für die und mit den interessierten Gewerbetreibenden, regelmäßigen Anliegerinformationsschreiben bis hin zu Anlieger-Veranstaltungen im Brackweder Gymnasium und dem Baubüro an der Hauptstraße“, sagt Olaf Lewald, Leiter Amt für Verkehr. Die Webseite www.hauptstrasse-bielefeld.de informiere seit Beginn der Umgestaltung der Hauptstraße über den aktuellen Bauverlauf und halte alle Informationen rund um das Baugeschehen bereit. „Dabei ist auch immer wieder auf das Entschädigungsmanagement und die Möglichkeit, sich jederzeit individuell im Baubüro informieren zu können, hingewiesen worden. Wir müssen uns aber an die Regularien der Planfeststellung halten und mit den öffentlichen Geldern sensibel umgehen“, erklärt moBiel-Geschäftsführer Arne Petersen. „Betonen möchten wir außerdem, dass bereits alle Maßnahmen ergriffen wurden, damit die Baustelle beschleunigt wird. So war es möglich, die Öffnung des Geschäftsbereichs zur Weihnachtszeit zu erreichen. Das hatte in den vergangenen Monaten oberste Priorität.“
IHK-Geschäftsführer Dörmann fordert, dass die Stadt „nun alle Anstrengungen unternehmen muss, die Bauarbeiten so schnell wie möglich abzuschließen und die Beeinträchtigungen bis dahin so gering wie möglich zu halten“. Dörmann betont: „Es geht um die Existenz von Unternehmen, die den Standort lebenswert machen, und die nicht wiederkommen, falls sie aufgeben. Niemandem ist geholfen, wenn am Ende eine attraktive Umgestaltung der Hauptstraße erfolgt ist, aber viele der Händler dort aufgegeben haben und Ladenflächen leer stehen.“