Industrie, Handel und Dienstleister in Bielefeld verharren im Stimmungstief. Das geht aus den Ergebnissen der Frühjahrskonjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK) hervor, an der sich in der Stadt 429 Unternehmen mit 31.671 Beschäftigten beteiligten. Darunter waren 51 Industriebetriebe mit 12.028 Beschäftigten, 230 Dienstleister mit 13.673 Mitarbeitenden sowie 148 Handelsunternehmen mit 5.970 Beschäftigten.
Der IHK-Klimakonjunkturindex für die gesamte Wirtschaft in Bielefeld ist gegenüber der Herbstumfrage 2024 von 95 auf 82 Punkte abgesackt. Dies ist der schwächste Wert nach der Corona-Pandemie, der Finanzkrise 2008/09 sowie dem Platzen der Internetblase Anfang der 2000er Jahre. Damit hat sich der Klimaindikator zudem weiter entfernt von der 100er-Marke, die für eine ausgeglichene Stimmung steht, bei der Optimisten und Pessimisten sich die Waage halten.
„Nach zwei Jahren mit schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt drohen auch für 2025 Stagnation oder sogar Rezession. Eine nachhaltige Trendumkehr ist auf Basis der Umfrageergebnisse auch in Bielefeld nicht in Sicht. Insbesondere in der Industrie sind Lage und Stimmung besorgniserregend“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke. Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort fügt sie hinzu: „Wir brauchen ein Sofortprogramm für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Eine neue Bundesregierung muss Wirtschaftspolitik zum Top-Thema machen und dringend Impulse setzen. Anreize für mehr Investitionen und eine Entlastung des Faktors Arbeit sind aus unserer Sicht wichtige Stellschrauben, um wieder mehr Wachstum zu generieren. Aber auch vor Ort müssen die richtigen Weichen gestellt werden, damit Bielefeld als attraktiver Standort Industrie, Handel und Dienstleistern die Möglichkeiten zum Wachsen gibt. Das umfasst die Ausweisung dringend benötigter Gewerbeflächen, geht über die Erreichbarkeit mit allen Verkehrsträgern bis zum Verzicht auf neue Belastungen wie die Einführung einer Verpackungssteuer oder Erhöhungen bei Gewerbe- und Grundsteuer.“
Ein Aufschwung sei wichtig für die Entwicklung der Wirtschaft und der Stadt Bielefeld, aber auch bundesweit betrachtet zur dauerhaften Finanzierung des vom Bundestag beschlossenen billionenschweren Investitionspakets für Infrastruktur und Nachhaltigkeit sowie höhere Verteidigungsausgaben. „Der Handlungsbedarf ist unbestritten. Das Sonderpaket darf eine neue Bundesregierung aber nicht dazu verleiten, Haushaltsdisziplin sowie die dringend notwendigen strukturellen Reformen aufzuschieben“, betont Pigerl-Radtke. „Inwieweit und wie schnell von diesem Paket wirtschaftliche Impulse auch in Bielefeld ausgehen können, bleibt abzuwarten.“ Das Sonderpaket müsse von wirtschaftspolitischen Weichenstellungen flankiert werden. Vor allem der Abbau von Bürokratie ist von den Unternehmen auch in der Konjunkturumfrage gefordert worden – und müsse nun konsequent betrieben werden. Als wichtiges Signal begrüßt die IHK-Hauptgeschäftsführerin die von Union und SPD geplante Senkung der Stromsteuer und Netzentgelte, um die Stromkosten auf ein wettbewerbsfähigeres Niveau zu bringen. Eine weitere Stellschraube sei auch eine Unternehmenssteuerreform.
In der Industrie in Bielefeld bleibt die Situation besonders angespannt. „Die Geschäftslage hat sich seit Herbst weiter verschlechtert“, ordnet Pigerl-Radtke ein. Aktuell bezeichnen nur noch 3 Prozent der Industriebetriebe ihre Geschäftslage als „gut“ (Herbst: 17 Prozent), die „schlecht“-Bewertungen haben sich von 45 auf nun 50 Prozent erhöht, die weiteren 47 Prozent bewerten die Lage als befriedigend. Eine schwache Konjunktur gepaart mit gestiegenen Kosten drücke auf die Marge. 37 Prozent der Firmen bezeichnen ihre Ertragslage als „schlecht“, nur 7 Prozent als „gut“. Dramatisch stellt sich die Situation auch bei der Auslastung dar: 69 Prozent (Herbst: 55 Prozent) der Industriebetriebe berichten von einer Produktionsauslastung von weniger als 80 Prozent, nur 5 Prozent sind zu mehr als 95 Prozent ausgelastet nach 2 Prozent im Herbst.
Der Blick auf die erwartete Geschäftslage für die kommenden zwölf Monate hat sich noch weiter eingetrübt. Nur 3 Prozent der Industrieunternehmen erwarten eine Verbesserung, mehr als jedes dritte (36 Prozent) eine Verschlechterung. 61 Prozent der Betriebe rechnen mit keiner nennenswerten Veränderung. Umsatzzuwächse werden von zwei Drittel der Unternehmen im Ausland erwartet, während bei den Inlandsumsätzen 46 Prozent von sinkenden Erlösen ausgehen. Die Verunsicherung und Zurückhaltung zeigt sich auch bei geplanten Investitionen im Inland. Nur noch 15 Prozent wollen mehr investieren als zuletzt, 32 Prozent weniger. Dabei sind Ersatzbeschaffungen (71 Prozent) das beherrschende Investitionsmotiv, immerhin 39 Prozent nennen aber auch Produktinnovationen als Investitionsmotiv. Während 14 Prozent der Betriebe ihre Belegschaft aufstocken wollen, erwarten 42 Prozent eine sinkende Mitarbeitendenzahl.
Die Gesamtumsätze der Industriebetriebe mit mindestens 50 Beschäftigten beliefen sich 2024 im Stadtgebiet auf 4,5 Milliarden Euro – ein Rückgang um 5,1 Prozent zum Vorjahr. In Ostwestfalen insgesamt betrug das Minus 9,2 Prozent. Die Inlandsumsätze der Bielefelder Industrie sanken im vergangenen Jahr um 10,3 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro. Die Auslandsumsätze stiegen derweil um 3,5 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro, die Exportquote lag damit bei 41,3 Prozent (Ostwestfalen: 40,6 Prozent). Die Zahl der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe ist in Bielefeld das fünfte Jahr in Folge leicht gesunken – auf noch 19.128. Und die Gesamtzahl aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Stadt ist zum Stichtag 30. Juni 2024 erstmals seit der Finanzkrise 2009 zum Vorjahr rückläufig gewesen – mit 167.251 lag sie um 1.959 niedriger als ein Jahr zuvor.
Im Handel ist die Lage der Unternehmen in Bielefeld ebenfalls angespannt. Nur 14 Prozent der Handelsunternehmen sprechen von einer aktuell guten, aber 35 Prozent von einer schlechten Lage. „Im Einzelhandel sind die Konsumzurückhaltung und im Großhandel die mäßige Industriekonjunktur Gründe dafür“, sagt Pigerl-Radtke. Bei den Erwartungen für die Entwicklung der Geschäftslage und Beschäftigtenzahl in den kommenden 12 Monaten gibt es jeweils rund doppelt so viele Pessimisten wie Optimisten. Noch einigermaßen stabil ist die Situation bei den Dienstleistern: 29 Prozent beurteilen ihre gegenwärtige Geschäftslage als gut, 25 Prozent als schlecht. Für die kommenden 12 Monate gehen jedoch nur 19 Prozent von einer Verbesserung aus, aber 25 Prozent von einer Verschlechterung. Leicht negativ ist auch hier die Erwartung bei der Beschäftigungsentwicklung.