Die deutsche Wirtschaft befindet sich aktuell bestenfalls in einer Stagnation und auch die ostwestfälischen Unternehmen spüren die Krise. Das zeigt die am 18. September vorgestellte Herbstkonjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK).
Demnach hat sich die Bewertung der aktuellen Geschäftslage insbesondere in der Industrie nochmals verschlechtert, auch für die kommenden Monate ist keine schnelle Trendwende zu erwarten. „Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland muss wieder stärker in den Mittelpunkt rücken“, fordert IHK-Präsident Jörn Wahl-Schwentker.
„Es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, die Produktionskosten zurück auf ein international vergleichbares Niveau zu bringen, zum Beispiel bei den Energie- und Arbeitskosten.“ Zudem brauche es Anreize für Investitionen. Auch eine Reform der Unternehmenssteuern sei eine mögliche Maßnahme.
An der Konjunkturumfrage haben sich von Mitte bis Ende August 1.774 Unternehmen mit 123.000 Beschäftigten beteiligt, darunter waren 325 Industriebetriebe mit gut 62.400 Mitarbeitenden. Der IHK-Konjunkturklimaindex für die gesamte ostwestfälische Wirtschaft hat von Frühjahr bis zum Herbst leicht nachgegeben, von 92 auf 91 Punkte.
Der Indexwert für die Industrie ist ebenfalls leicht gesunken, von 79 auf 78 Punkte. „Am Verlauf des Klimaindexes lässt sich die Seitwärtsbewegung der konjunkturellen Entwicklung und die angespannte Lage erkennen“, sagt Wahl-Schwentker. Bei einem Index-Wert von 100 halten sich die Optimisten und Pessimisten die Waage.
Insbesondere die Beurteilung der aktuellen Geschäftslage hat sich gegenüber dem Frühjahr nochmals verschlechtert. Die Quote der Industrieunternehmen, die ihre momentane Situation als „gut“ bewerten, bleibt mit 14 Prozent (Frühjahr: 13 Prozent) weiterhin niedrig. Hingegen haben die „schlecht“-Bewertungen noch einmal deutlich zugelegt – auf 48 nach zuvor 40 Prozent.
Die abflauende Konjunktur hat ebenfalls Auswirkungen auf die Ertragslage. Als „gut“ bezeichnen sie 19 Prozent der Unternehmen (Frühjahr: 27 Prozent), als „schlecht“ rund 36 Prozent, nahezu gleich viele wie im Frühjahr.
Die Erwartungen für die Geschäftslage in den kommenden zwölf Monaten haben sich etwas stabilisiert, allerdings auf einem schwachen Niveau, eine schnelle Erholung ist nicht zu erwarten. Der Anteil der Optimisten ist zwar von 21 auf 17 Prozent gesunken.
Eine Verschlechterung der Lage erwarten weniger Betriebe (24 Prozent statt 35 Prozent im Frühjahr), aber der Saldo bei den Geschäftserwartungen bleibt insgesamt negativ. Das Gros der Betriebe, 59 Prozent, geht von keiner nennenswerten Veränderung der Geschäftslage aus.
„Eine Fortschreibung der aktuellen Geschäftslage ist leider wenig erfreulich. ‚Gleich bleibend‘ ist im Moment keine gute Aussicht“, fasst Wahl-Schwentker die Stimmung zusammen. Auch bei den Umsätzen erwarten mehr Betriebe sinkende (33 Prozent) als steigende Beträge (23 Prozent).
Wenn Impulse erwartet werden, dann eher aus dem Auslandsgeschäft. So geht knapp ein Drittel der Betriebe von steigenden Auslandsumsätzen aus, gut ein Viertel von sinkenden. Aber auch im Auslandsgeschäft sind die Entwicklungen mit Ländern außerhalb der Eurozone, insbesondere China und USA, stark rückläufig.
Dafür hat bei den deutschen Exporten Polen im ersten Halbjahr 2024 China übertroffen. „Das unterstreicht die Bedeutung der EU und generell die eines freien Welthandels insgesamt für Deutschland“, fasst Wahl-Schwentker zusammen.
Bei den erwarteten Erträgen zeigt sich ein ähnliches Bild. Für die kommenden zwölf Monate gehen 35 Prozent der Unternehmen von sinkenden Erträgen aus, 19 Prozent von steigenden.
Schwache Gewinnerwartungen beeinflussen ebenfalls die Investitionsbereitschaft: Lediglich 17 Prozent der Industriebetriebe wollen mehr investieren, 28 Prozent weniger. Und nur 15 Prozent der Unternehmen wollen Kapazitäten erweitern. Mit 85 Prozent sind Ersatzbeschaffungen das ausschlaggebende Investitionsmotiv.
Als aktuelle Top-Risiken bewerten die Industrieunternehmen die Inlandsnachfrage (81 Prozent), die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (69 Prozent) und die Arbeitskosten (53 Prozent).
Die Gesamtumsätze des Verarbeitenden Gewerbes in Ostwestfalen für Betriebe mit mindestens 50 Beschäftigten betrugen im ersten Halbjahr 23,4 Milliarden Euro (minus 12,6 Prozent zum Vorjahr). Dabei sanken die Inlandsumsätze um 12,9 Prozent auf 13,7 Milliarden Euro und die Auslandsumsätze um 12 Prozent auf 9,7 Milliarden Euro in etwa gleich stark.
Die Exportquote der ostwestfälischen Industrie beträgt damit aktuell 41,4 Prozent. Mit diesen Umsatzrückgängen schneidet die Industrie im ersten Halbjahr schwächer ab als die in NRW (minus 5,7 Prozent) und im Bund (minus 4,8 Prozent).
„Diese kurzfristige Betrachtung verzerrt jedoch die mittel- und langfristige Entwicklung, die in Ostwestfalen positiver war als in NRW oder in Deutschland. Fakt ist aber, dass in Ostwestfalen einige Branchen, insbesondere aus dem konsumnahen Bereich, nun deutliche Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben.
Und diese Branchen haben in unserer Region ein stärkeres Gewicht als auf Landes- oder Bundesebene“, erläutert IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke. Die sieben umsatzstärksten Industriebranchen in Ostwestfalen liegen zur Jahresmitte im Minus.
Die Zahl der Beschäftigten in der ostwestfälischen Industrie ging auf 172.384 zurück (minus 0,2 Prozent). „Nach dem beeindruckenden Beschäftigungszuwachs von 32.000 zusätzlichen Stellen zwischen den Jahren 2010 und 2019 hat dieser Trend ein Ende gefunden“, so Pigerl-Radtke.
Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt ist in Ostwestfalen (Stichtag: 31. Dezember 2023) nach über zehn Jahren erstmals wieder gesunken – um ein Prozent auf 758.659 Personen.