„Bielefeld hat viel Potenzial, aber die Chancen, die sich beispielsweise in Wissenschaft und Wirtschaft auftun, müssen auch genutzt werden“, sagte Wolf D. Meier-Scheuven, Präsident der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK), heute (20. März) bei der Präsentation der aktuellen IHK-Konjunkturumfrageergebnisse für das ostwestfälische Oberzentrum.
An der Umfrage haben sich 385 Unternehmen mit 27.561 Beschäftigten aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistungen beteiligt. Dabei bewegten sich die Unternehmen aktuell noch auf einem recht hohen Niveau, aber die Erwartungen haben sich deutlich eingetrübt – damit folgen die Bielefelder Betriebe dem allgemeinen Trend der ostwestfälischen Wirtschaft.
Der IHK-Konjunkturklimaindex, der die momentane Lage und die Zukunftserwartungen gleichermaßen berücksichtigt, sei im Vergleich zur Herbstkonjunkturumfrage 2018 deutlich gesunken, von 134 auf 113 Punkte.
Die aktuelle Geschäftslage in der Industrie bezeichneten 27 Prozent der 54 befragten Industriebetriebe mit 12.272 Beschäftigten als „gut“, 68 Prozent als „befriedigend“. Bei den Erwartungen gehen nur noch zwölf Prozent der Unternehmen von einer weiteren Verbesserung der Geschäftslage aus (2018: 42 Prozent). Die Zahl der Pessimisten ist von 19 auf 22 Prozent gestiegen. Bei der erwarteten Geschäftslage verzeichnet die IHK den schwächsten Saldo seit dem Herbst 2013. Die Beschäftigungspläne in der Industrie blieben positiv, so erwarten 29 Prozent der Unternehmen, dass ihre Beschäftigenzahlen steigen werden – allerdings waren es vor einem Jahr noch 46 Prozent. Als größte Konjunkturrisiken werden Arbeitskosten und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen genannt, noch vor dem Fachkräftemangel.
Der Bielefelder Einzel- als auch Großhandel bewertet seine aktuelle Lage als positiv. Aber auch der überwiegend industrienahe Großhandel blicke eher skeptisch auf die kommenden zwölf Monate, der Anteil der Optimisten ist auf 23 Prozent zurückgegangen (2018: 32 Prozent). Bei den Beschäftigungserwartungen rechnet der Einzelhandel mit einem Plus, im Großhandel sind sie leicht gesunken.
Bei den Dienstleistern bezeichnen aktuell 42 Prozent der Unternehmen ihre Lage als „gut“, für die kommenden zwölf Monate gehen 31 Prozent von einer besseren Geschäftslage aus. Als größtes Konjunkturrisiko nennen sowohl der Handel als auch die Dienstleister den Fachkräftemangel.
Die Gesamtumsätze der Industrie sind im vergangenen Jahr um 2,9 Prozent auf gut 4,3 Milliarden Euro gewachsen. „Im Unterschied zu Ostwestfalen insgesamt liegen die Ergebnisse für die Bielefelder Industrie damit statistisch allerdings immer noch unter dem Niveau von vor der Finanz- und Wirtschaftskrise“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff. Dabei stehe das Produzierende Gewerbe in Bielefeld nur noch für knapp 24 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung und rund 21 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Bruttowertschöpfung der Stadt Bielefeld ist auf knapp 11,6 Milliarden Euro gewachsen. Mit 155.791 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten werde ein neuer Höchststand erreicht.
Kritik wurde während des Pressegesprächs an der Bielefelder Verkehrswende geäußert. „Wir haben die Sorge, dass Bielefeld bei einer zu starken Gängelei des Individualverkehrs wirtschaftlichen Schaden nehmen wird“, sagte Meier-Scheuven. Bei den Gewerbeflächen bestehe aus IHK-Sicht dringender Handlungsbedarf. 30 Prozent der jüngst von der WEGE befragten Unternehmen planten einen Standortwechsel oder Teilverlagerungen, jedes achte Unternehmen erwägt dabei einen Standort außerhalb Bielefelds. „Ich weiß nicht, wie viele Untersuchungen und Analysen noch gebraucht werden, damit endlich mehr Druck in diese Thematik kommt. So wird Bielefelds Zukunft verspielt“, mahnte Meier-Scheuven.
Unterstützung der Wirtschaft findet die Ansiedelung der Medizinischen Fakultät in Bielefeld: „Die Dynamik, die aus dem Wachstum von Stadt und Hochschulen sowie der Medizinischen Fakultät im Besonderen entsteht, wird immer noch unterschätzt“, so der IHK-Präsident. In anderen Städten, in denen neue medizinische Fakultäten gegründet wurden, hätten auch viele medizinaffine Unternehmen die Nähe zu den neuen wissenschaftlichen Einrichtungen gesucht.
Ein Wehmutstropfen bleibe, da das nun von der Medizinischen Fakultät genutzte Gebäude ursprünglich als Innovationszentrum für Unternehmensgründungen und Start-ups aus der Universität Bielefeld zur Verfügung stehen sollte. „Bielefeld braucht eigenständige Räume für Gründer, die speziell auf deren Bedarf zugeschnitten sind. Auch aus diesem Grund setzen wir uns für das Projekt ‚Think Tank für OWL‘ ein, das neben der räumlichen Zusammenführung von Forschung und Unternehmen auch Unternehmensgründungen unterstützen soll“, sagte Meier-Scheuven.