Interessen der Wirtschaft und des Wirtschaftsverkehrs stärker ins Blickfeld rücken
Eine Verkehrspolitik mit Augenmaß in der Stadt Bielefeld fordern die Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK), die Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld (HWK) und der Handelsverband OWL (HV). Die Auswirkungen verkehrspolitischer Weichenstellungen auf die Unternehmen, ihre Kunden und Arbeitnehmer müssten dabei stärker als bisher ins Blickfeld der Verantwortlichen bei der Stadt rücken. „Wir vermissen in den aktuellen Beschlüssen zur Verkehrspolitik das Bewusstsein für die Interessen der Unternehmen und für die Notwendigkeiten des Wirtschaftsverkehrs“, fasst IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff die Ausgangslage zusammen.
Sein Stellvertreter Harald Grefe, der bei der IHK die Verkehrsabteilung verantwortet, ergänzt: „Wenn wir heute mehr Einwohner, mehr Arbeitsplätze, mehr Pendler und mehr Warenverkehr haben, dann führt das in Summe zu mehr Verkehr. Dieses Wachstum muss intelligent und vorausschauend gemanagt werden. Wir unterstützen den Ausbau des ÖPNV und des Radverkehrs, allerdings mit Augenmaß, nicht mit der Brechstange“.
IHK, HWK und HV weisen darauf hin, dass ein durchdachter Gesamtverkehrsplan fehle, der alle Verkehrsmittel nach ihren jeweiligen Stärken sinnvoll miteinander vernetze und so dem wachsenden Mobilitätsbedürfnis Rechnung trage. Die City müsse für den Wirtschaftsverkehr, also die Anlieferung von Waren, die Ver- und Entsorgung, den Verkehr durch die Kunden und Mitarbeiter sowie für Dienstleister wie Taxen und Pflegedienste offen und erreichbar bleiben. Sonst drohe wirtschaftlicher Schaden.
Die Stadt Bielefeld habe sich mit den geplanten Änderungen zum Modal Split und der Halbierung des Anteils der PKWs ex-trem hohe Ziele gesteckt. Die erarbeiteten Szenarien im Rahmen des Nahverkehrsplans hätten jedoch gezeigt, dass der Anteil des ÖPNV nur bedingt steigerbar sei. Aus Sicht von IHK, HWK und HV spiele für die Erreichbarkeit von Bielefeld das Auto auch in Zukunft eine wichtige Rolle. Eine zu rigide Anti-Auto-Politik sei für Bielefeld problematisch. Eine Antwort auf wichtige Fragen der gesamtstädtischen Verkehrsentwicklung gebe es von Seiten der Stadt bisher nicht.
„Wir werden die Preise in den von uns betriebenen Tiefgaragen Welle, Kesselbrink, Theater und Willy-Brand-Platz stabil halten“, betont HV-Hauptgeschäftsführer Thomas Kunz angesichts der aktuellen Debatte um die Reduzierung und Verteuerung des Parkraumes in der Bielefelder Innenstadt. „So wollen wir auch für die Kunden aus dem Umland, die auf das Auto angewiesen sind, weiterhin ein attraktives Parkraumangebot zur Verfügung stellen“, erklärt Kunz. Der Einzelhandel sei darauf angewiesen, dass Kunden problemlos die Geschäfte erreichen können.
Zu den Erfolgsfaktoren einer Einkaufsstadt zählten neben dem Warenangebot vor allem die einfache An-und Abreise, das Parkangebot und die Parkkosten. Kunz: „Bielefeld ist heute eine attraktive Einkaufsstadt für die Bielefelder und weit darüber hinaus. Wir wollen, dass das so bleibt. Eine Reduzierung des Parkangebotes in der Altstadt lehnen wir nicht kategorisch ab, sie muss aber maßvoll erfolgen - nicht durch MoBiel, sondern durch Politik und Verwaltung. Und wir erwarten, dass auch Vertreter des Handels in die Entscheidungen einbezogen werden“.
IHK, HWK und HV kritisieren, dass die Voraussetzungen für die von Teilen der Politik postulierten „Verkehrswende“ fehlen. Die Park-and-Ride Umsteigemöglichkeiten seien schon heute an der Kapazitätsgrenze. Wer den Umstieg auf den ÖPNV fordere, müsse die Alternativen zügig schaffen. Das sei bisher nicht zu erkennen. Dazu gehöre auch die „Ertüchtigung“ der Auf- und Abfahrten des Ostwestfalendammes.
Für eine bessere Verkehrssteuerung fordern die Wirtschaftsorganisationen digitale Verkehrsmanagementsysteme, wie sie in anderen Großstädten Spitzenlasten erfolgreich steuern. Angesichts der erheblichen Zunahme der Verkehrsprojekte in den nächsten Jahren erwartet die Wirtschaft eine zügige und professionelle Planung und Steuerung durch die Verwaltung. Hier dürfe kein Engpass entstehen.
Der geplante Jahnplatzumbau stelle die Wirtschaft vor große Herausforderungen. Die Umbauphase werde schmerzlich, sowohl für Anlieger wie für die gesamte Innenstadt. Erfreulich sei, dass der Jahnplatz auch langfristig für den Wirtschafts- und Individualverkehr offenbleibe. Auch die städtebauliche Aufwertung des Jahnplatzbereichs schätzen IHK, HWK und HV positiv ein. Jedoch müssten die Belange der ansässigen Gewerbebetriebe dabei berücksichtigt werden. Neben den gestalterischen Aspekten habe die Funktionalität des Platzes aus Sicht der Wirtschaft eine hohe Relevanz. Die Aufenthaltsqualität werde sicher besser, bleibe aber durch die zahlreichen Busse auch in Zukunft eingeschränkt. Der Jahnplatz bleibe auch künftig ein Verkehrsknotenpunkt.
Die aktuelle Bielefelder Verkehrspolitik gefährde aus Sicht des Handwerks zunehmend die wohnortnahe Versorgung der Innenstadt mit handwerklichen Dienstleistungen. „Viele Betriebe beklagen die immer schlechtere Erreichbarkeit der Kunden in der Innenstadt und fehlende Parkmöglichkeiten für die Service- und Montagefahrzeuge", erläutert Wolfgang Borgert, stellvertretender HWK-Hauptgeschäftsführer. Das verteuere den Einsatz der Handwerker. Leidtragende dieser falschen Verkehrspolitik seien letztlich vor allem die Kunden in der Innenstadt.
Zur Versorgungssicherung gebe es landesweit die wichtigen Sonderregelungen des Handwerkerparkausweises, in Bielefeld würden sie allerdings mit der Streichung von Parkplätzen und Halteverbotszonen immer weiter ‚ausgetrocknet‘. „Auch die aktuelle Jahnplatz-Planung raubt dem Handwerk wichtige Parkmöglichkeiten am Niederwall und muss deshalb dringend nachgebessert werden", fordert Borgert.
Ein weiterer Punkt ist aus Sicht der Wirtschaftsorganisationen stark verbesserungswürdig: das Baustellenmanagement der Stadt. Es müsse deutlich optimiert werden, um die Auswirkungen für die Gewerbetreibenden am Jahnplatz und bei anderen Baustellen in der Stadt möglichst gering zu halten. „Die aktuellen Baustellen am Jahnplatz haben gezeigt, dass hier im Bereich der frühzeitigen Kommunikation von Maßnahmen noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht“, unterstreicht Grefe.
„Die Wirtschaft braucht für jede Baustelle einen festen Ansprechpartner, der schnell und kompetent Auskunft geben kann. Und eine Baustelle vom Umfang des Jahnplatzumbaus benötigt zudem eine Projektgruppe, der Mitglieder aus allen Werbegemeinschaften der Bielefelder Innenstadt angehören.“