100 Tage nach dem vollzogenen Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion zieht die Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK) eine eher nüchterne Bilanz: Zwar zählt das Vereinigte Königreich mit knapp 9 Milliarden Euro Exportvolumen weiterhin zu den wichtigsten Handelspartnern Nordrhein-Westfalens, dennoch ist es seit dem Referendum 2016 von Platz 3 auf Platz 8 der NRW-Exportmärkte abgerutscht.
Allein 2020 verzeichnete das Exportvolumen der NRW-Unternehmen ein Minus von 16,5 Prozent (2019: 10,7 Milliarden Euro). Aktuell unterhalten zirka 500 Unternehmen aus Ostwestfalen Exportbeziehungen mit Großbritannien, davon 60 mit eigenen Niederlassungen oder Produktionsstätten. „Wie groß die Unsicherheit der Unternehmen nach dem Brexit noch ist, zeigen die weit über 2.000 Beratungsgespräche, die allein in diesem Quartal von uns zum Thema Brexit und seine Folgen geführt wurden“, erläutert Harald Grefe, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer.
Kritik aus der Unternehmerschaft gebe es speziell am Handelsabkommen, das die EU und das Vereinigte Königreich gerade noch fristgerecht vor Ende 2020 abgeschlossen hatten. „Die damit verbundene aufwändige Bürokratie kostet viel Zeit und damit auch Geld“, moniert Grefe. „Außerdem sind die britischen Firmen und Zollbehörden mit der Umsetzung der neuen Vorgaben teilweise immer noch völlig überfordert.“
Speziell Fragen rund um den Warenverkehr, besonders zur Abwicklung der Zollformalitäten, trieben die ostwestfälischen Unternehmen um. Hauptaspekte dabei seien die Zollregistrierung, die Voraussetzungen zur zollfreien Lieferung von Waren und die Zollpapiere, die seit dem 1. Januar 2021 verpflichtend sind. Die ohnehin schwierigen Handelsbeziehungen seien darüber hinaus durch das Vertragsverletzungsverfahren belastet, das die EU Mitte März gegen Großbritannien wegen der Nichteinhaltung der vertraglichen Regeln des Austritts eingeleitet hat. Hintergrund sei der Streit über die Brexit-Sonderregeln für Nordirland, wobei London Vereinbarungen des Abkommens eigenmächtig geändert hatte.
„Dabei ist vor allem Planungs- und Rechtssicherheit etwas, ohne das ein internationaler Handel gar nicht machbar ist“, fordert der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer. Firmen müssten wissen, auf welches Prozedere sie sich einstellen können. Das Abkommen sei zudem von Seiten der EU nur vorläufig in Kraft gesetzt worden. „Bis Ende April müssen alle EU-Staaten zustimmen, ansonsten sind wir wieder am Anfang - bei einem harten Brexit. Das wäre für unsere Wirtschaftsbeziehungen fatal“, blickt der für den Bereich International bei der IHK verantwortlich zeichnende Grefe voraus. „Trotz allem halten die Unternehmen am britischen Markt fest, auch wenn es schwieriger wird.“ Immerhin hätten deutsche Unternehmen 2.500 Niederlassungen in Großbritannien mit über 400.000 Beschäftigten.
Die IHK informiert ihre Mitgliedsunternehmen weiterhin laufend über den aktuellen Stand zum Thema Brexit auf ihrer Homepage unter www.ostwestfalen.ihk.de.