IHK-Konjunkturumfrage Frühjahr 2020:
Die leichte Frühjahrsbelebung in der ostwestfälischen Industrie wird durch die noch nicht absehbaren Folgen der Coronavirus-Epidemie ausgebremst. Zu diesem Ergebnis kommen zwei aktuelle Frühjahrsumfragen der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK), die beim Pressegespräch in der IHK in Bielefeld vorgestellt wurden. „Die Ergebnisse unserer Konjunkturerhebung werden durch die aktuelle Entwicklung rund um das Coronavirus ein Stück weit relativiert. Die Konjunkturumfrage endete zu einem Zeitpunkt, an dem wir größtenteils noch von einem rein ‚chinesischen Problem‘ gesprochen haben“, sagte IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven. Sie fand in den Monaten Januar und Februar statt. Daran beteiligten sich insgesamt 1.774 Unternehmen mit 136.048 Beschäftigten aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistung aus ganz Ostwestfalen, darunter 397 Industriebetriebe mit 82.732 Beschäftigten.
Die deutsche Industrie steckte – auch vor der Corona-Epidemie – in einer schon länger andauernden schwierigen Situation, bei der sich weltwirtschaftliche Probleme mit strukturellen Herausforderungen vermischten. Seit 2018 gehe die Produktion in der deutschen Industrie zurück, das sei die längste Schwächephase seit Anfang der 1990er-Jahre. Auch die Geschäftsbeziehungen zu China würden gegenwärtig als deutlich schlechter beurteilt als im Jahr zuvor. Angesichts dieser Problemlage sei die Bewertung der momentanen Geschäftslage gegenüber der Herbstumfrage 2019 entsprechend schlechter geworden. Die Geschäftserwartungen für die kommenden zwölf Monate hätten sich hingegen etwas verbessert. So ist der IHK-Klimakonjunkturindex, der die momentane Lage und die Zukunftserwartungen gleichermaßen berücksichtigt, gegenüber dem Herbst von 104 auf 109 Punkte angestiegen. In der Industrie ist der Wert von 98 auf 105 geklettert. „Die leichte Verbesserung gibt aber keinen Anlass zur Entwarnung“, sagte Meier-Scheuven mit Blick auf die Corona-Auswirkungen.
Die Bewertung der bisherigen Ertragslage sei zurückhaltend. Ein Viertel der Unternehmen sei unzufrieden mit den Erträgen, ähnlich viele bewerteten sie als „gut“. Besorgniserregend bleibe die Entwicklung bei den Investitionen. Zwar gab ein Viertel der Unternehmen an, dass sie ihre Investitionen erhöht hätten. Gleichzeitig hätten 40 Prozent der Betriebe weniger investiert als zuvor. Meier-Scheuven: „Wir sehen, dass hier die Dynamik der vergangenen Jahre zunächst vorbei ist.“ Auch bei den erwarteten Investitionen in den kommenden zwölf Monaten bleibe der Saldo negativ. 26 Prozent der Firmen wollen weniger investieren, 22 Prozent planen höhere Ausgaben.
Hinzu komme, dass weniger Investitionen in Kapazitätserweiterungen fließen. Dafür steigt der Einsatz für den Umweltschutz. 28 Prozent der Betriebe gaben an, in diesen Bereich zu investieren. Das sei der höchste Wert seit langem. Als Risiken für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten nennen fast ein Drittel der Unternehmen die Energiepreise. Steigende Umlagen und steigende Kosten bereiteten den Unternehmen Sorgen. Ein weiteres Risiko mit steigender Tendenz seien die Arbeitskosten, jedes zweite Unternehmen äußerte sich hier besorgt. Die Beschäftigungspläne der Industrie seien ziemlich defensiv. Nur noch 14 Prozent der Unternehmen wollen in den kommenden zwölf Monaten Mitarbeiter einstellen, vor zwei Jahren lag der Wert bei 57 Prozent.
„Auch die Statistiken des Landesbetriebes Information und Technik NRW zeigen für Ostwestfalens Industrie eher eine Stagnation“, analysierte IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff die Zahlen der amtlichen Statistik. Die Gesamt-umsätze des Verarbeitenden Gewerbes in Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten betrugen im vergangenen Jahr (Januar bis Dezember 2019) 44,6 Milliarden Euro. Insgesamt seien die Umsätze um 0,6 Prozent gestiegen (NRW: -2,1 Prozent; Bund: -0,6 Prozent). Die Auslandsumsätze kletterten um 2,1 Prozent auf knapp 17,3 Milliarden Euro. Die Exportquote betrage aktuell 38,7 Prozent. Die Inlandsumsätze seien im gleichen Zeitraum um 0,3 Prozent auf 27,3 Milliarden Euro zurückgegangen.
Bei der Beschäftigungsentwicklung stehe Ostwestfalens Industrie besser da als Land und Bund: In Ostwestfalen stieg die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um 2,7 Prozent, in NRW und dem Bund waren es jeweils ein Plus von 0,8 Prozent. Im Jahresdurchschnitt waren in Ostwestfalens Industrie 172.178 Mitarbeiter beschäftigt. Seit August vergangenen Jahres ging die Beschäftigtenzahl um rund 2.000 zurück, auf 171.101 im Dezember. „Einzelne Monatszahlen sollten nicht überbewertet werden, aber die Tendenz ist ein Warnsignal“, mahnte Niehoff. Bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten konnte die Region ein Plus verbuchen – sie lag am Stichtag 30. Juni 2019 bei 730.655 Personen, 12.190 oder 1,7 Prozent mehr als im Vorjahr.
In einer aktuellen IHK-Blitzumfrage zu Auswirkungen des Coronavirus‘ beklagten 47 Prozent der befragten 300 Unternehmen Lieferengpässe, 35 Prozent Umsatzeinbußen und 21 Prozent die Absage von Messeteilnahmen. Für die Zukunft werden noch stärkere Auswirkungen erwartet. Mit Lieferengpässen und Umsatzeinbußen rechnen jeweils über 60 Prozent der Unternehmen.
Angesichts dessen forderte IHK-Präsident Meier-Scheuven von der Politik Sofortmaßnahmen, damit solide und gesunde Unternehmen nicht aufgrund von Liefer- und Produktionsengpässen oder Messe- und Veranstaltungsabsagen in die Insolvenz rutschten. Denkbar seien Bürgschaften, KfW-Kredite oder auch eine Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Auch Steuerstundungen sollten bei Bedarf geprüft werden.